Für Joachim
Ein persönlicher Nachruf auf Joachim Joos
Als ich im Jahr 1977 im Nürnberger Bildungszentrum bereits im zweiten Jahr einen wöchentlichen Treff zum Thema Tonbandtechnik besuchte, lernte ich Joachim Joos, genannt Jo, erstmals kennen. Er hatte damals gerade mit dem Hochschulstudium der Nachrichtentechnik in Erlangen begonnen, während ich mich auf das Abitur vorbereitete. Wir fachsimpelten von Anfang an über technische Inhalte, da wir beide elektronische Schaltungen und Geräte ersannen und bauten, und der Anwendungsschwerpunkt war die möglichst »professionelle« Tonaufnahme- und Tonwiedergabetechnik auf einem erschwinglichen Preisniveau.
Nach meiner Wehrdienstzeit im Jahr 1979 begann ich selbst mit meinem Studium der Nachrichtentechnik an der Fachhochschule Nürnberg. Bis dahin pflegte ich meine elektronischen Schaltungen als handverdrahtete Einzelstücke zu fertigen, was alles andere als »professionell« war. Jo brachte mir bei, wie ich gedruckte Leiterplatten selbst herstellen konnte. Er war eine Fundgrube an Wissen auf vielseitigen Fachgebieten: Mathematik, Chemie, Werkstoffkunde, Mechanik, elektronische Schaltungstechnik und später Computerprogrammierung – es gab kaum einen Bereich, in dem er nichts Wertvolles beitragen konnte. Hinzu kamen seine enormen Kenntnisse der historischen Rundfunktechnik.
1982 wechselte Jo an die FH Nürnberg, so dass wir dort regelmäßig zusammen Vorlesungen besuchten. In der Freizeit trafen wir uns oft zum Gedankenaustausch oder für gemeinsame Projekte. Eine beliebte Quelle für die Beschaffung von Material und Geräten war der Transomega-Laden, der ausgemusterte Messgeräte zum Verkauf anbot. Dabei konnte mir Jo hilfreiche Informationen geben, was empfehlenswert war und wovon man besser die Finger ließ. Er unterstützte mich auch beim Erlernen der Grundlagen mechanischer Fertigung, also Zuschneiden, Bohren, Fräsen und Lackieren von Blechen oder Aluminiumprofilen. Er verfügte über viele Werkzeuge und Hilfsmittel wie Messlehren und einen extrem plan gefertigten Messtisch. So bekamen meine Eigenprodukte allmählich immer professionelleren Schliff.
Joachim Joos
Foto: W. Joos
Über Jo lernte ich auch das Colosseum-Tonstudio in Nürnberg kennen, wo er quasi Haustechniker war. Dieses Studio – als Aufnahmestudio der Nürnberger Symphoniker – verwendete viele Geräte der damals gebräuchlichen deutschen Rundfunktechnik: Röhrenmikrofone, Röhrenverstärker und Mischeinrichtungen, Bandmaschinen und eine Schallplatten-Schneideanlage. 1984 wurde das Tonstudio umgebaut und erhielt ein digital gesteuertes Mischpult von Solid State Logic, damals Stand der Technik. Jo hatte hinsichtlich der Tontechnik die fachliche Leitung der Umbaumaßnahmen und verschaffte mir einen Ferienjob dort. Ich half mit bei der Verlegung und Verdrahtung neuer Mikrofonleitungen und baute einige Logikschaltungen für die Kommando-Schaltanlage.
Privat baute ich mein eigenes Tonstudio weiter aus, teils auch unter seiner tatkräftigen Mithilfe; unvergessen ist sein blecherner Waschzuber, in dem er nach seinem Spezialrezept den Beton für den Fenstersturz über meinem Studiofenster zubereitete. Wir fuhren gemeinsam immer wieder nach Berlin, wo der SFB (Sender Freies Berlin) seine ausgebuchten Altgeräte in einem kleinen Lager verkaufte. Dort erwarb ich etliche Röhrenverstärker, Mikrofone, Filter- und Reglerkassetten sowie eine Telefunken M 10 Tonbandmaschine. Jo beschaffte mir die technischen Unterlagen dazu, damit ich diese Geräte auch praktisch einsetzen konnte, denn sie waren Rohmaterial, das erst generalüberholt, instand gesetzt und sachgemäß eingebaut und angeschlossen werden musste.
Eines der Steckenpferde von Jo war die Telcom-C4 Rauschunterdrückung, mit der die analogen Bandmaschinen einen den digitalen Medien vergleichbaren Dynamikumfang erhielten. Sie war qualitativ etwas besser als das gebräuchlichere Dolby-A-Verfahren und gutmütiger hinsichtlich der korrekten Einmessung. Pferdefuß dieses Systems war ein spezieller Verstärkerbaustein in Hybridtechnik, den Telefunken eigens dafür herstellen ließ, und ohne den ein Nachbau praktisch unmöglich war. Jo hirnte monatelang über diesem Baustein und entwickelte schließlich eine Ersatzschaltung, die funktional gleichwertig war und die er als vergossenes Modul in kleiner Stückzahl herstellte. So wurde es möglich, dass ich unter Verwendung dieser Module und der von Jo hergestellten Leiterplatten ein Telcom-C4-System für meinen eigenen Bedarf bauen konnte.
In den späten 1980er Jahren, nach Abschluss seines Studiums, zog Jo wegen seiner Arbeitsstelle nach München, so dass wir uns nur noch an den Wochenenden treffen konnten. Er vermittelte mir 1988 eine Tätigkeit als Maintenance Engineer im früheren Hartmann Digital Tonstudio, einem der ersten Tonstudios mit digitaler Aufnahmetechnik in Deutschland, das unter der Leitung von Claus-Peter Duus (dem früheren Geschäftsführer der Nürnberger Symphoniker) und Klaus Oestreicher  als Trubach Digital Tonstudio zu neuem Leben erweckt wurde. Dort konnte ich meine Kenntnisse und Fertigkeiten auf dem Gebiet der Tonstudiotechnik voll entfalten. Leider war diesem Studio kein anhaltender Erfolg beschieden, so dass es bereits 1989 vollständig aufgelöst wurde.
Jo heiratete Anfang der 1990er Jahre und bezog ein Haus im Münchener Umland. Bis in die ersten 2000er Jahre kam er immer wieder nach Nürnberg, um im zwischenzeitlich vermieteten Haus seiner verstorbenen Eltern nach dem Rechten zu sehen und gelegentliche Reparaturen vorzunehmen, und um im Colosseum-Tonstudio – das Mitte der 2000er Jahre ebenfalls schließen musste – Wartungstätigkeiten zu verrichten. Er klagte mir gegenüber über zunehmende berufliche Belastung und Unzufriedenheit mit seinem Job bei einem Münchener Großdruckerhersteller. Mitte der 2000er Jahre verkaufte er das Elternhaus schließlich; von da an sahen wir uns nur noch selten, kommunizierten aber viel über Telefon und E-Mail. Er erzählte immer wieder von beglückenden Erlebnissen in seiner Familie, besonders mit seiner Tochter.
Was niemand – auch im engsten Familienkreis lange nicht – mitbekam, war Joachims Depression, die ihn gesundheitlich auszehrte. Er war früher immer stolz auf seine robuste Natur gewesen, die ihn vor größeren Krankheiten verschont gelassen hatte. Bis heute weiß ich nicht genau, was in seiner letzten Zeit in ihm vorgegangen ist, obwohl ich mit ihm fast bis zuletzt Kontakt hatte. Kurz vor Weihnachten 2008 verstarb Jo aufgrund eines tragischen Vorfalls allein in seinem Wohnhaus. Joachim war einer der besten Freunde, die ich je hatte. Auch wenn ich ihn vermisse, lebt er mit seinem Wirken – und mit seinem bisweilen sarkastischen Humor – in meinem Andenken weiter. Er hat mir in vielerlei Hinsicht geholfen und war mir lange Jahre ein wertvoller und treuer Berater und Vertrauter. Ich habe ihm unendlich viel zu verdanken.
(geschrieben im März 2013)
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