Hörgewohnheiten
Zugegeben, heute ist Dolby Surround™ der Standard für zeitgemäßen Hörgenuss. In meiner Jugendzeit (1970er Jahre) war Stereo toll und Hi-Fi (High Fidelity) eine Sensation. Für Kopfhörer galt damals: Je größer und schwerer, um so besser. Ein erster brauchbarer Leichtkopfhörer war der HD-414 von Sennheiser mit seinen Schaumpolstern. Seine Nachteile waren aber das offene Beschallungsprinzip (kein abgeschlossener Raum um die Ohren, also Belästigung der Umgebung), das baldige Zerbröseln der Ohrpolster und die Tendenz der Membranspulen zum Durchbrennen bei größeren Abhörlautstärken.
Wann ist ein Kopfhörer schlecht
Damit komme ich zum Kern meiner Betrachtung, der Abhörlautstärke. Wie oft habe ich die Ermahnung anhören müssen: »Stell' die Musik nicht so laut, du machst dir ja die Ohren kaputt!«  Bei einem schlechten Kopfhörer trifft diese Aussage wirklich zu. Schlecht heißt für mich:
Verzerrte Wiedergabe oberhalb einer bestimmten Lautstärke, d. h. Erzeugen von im Tonsignal nicht enthaltenen und extrem schädlichen Obertönen
Betonung der oberen Mittenfrequenzen (4 bis 12 kHz), was in der Werbung gerne als »Brillanzanhebung« beschönigt wird
unsaubere, schwammige Basswiedergabe, und das erst ab den mittleren Bässen um ca. 40 bis 60 Hz
Heißt es in der Angabe zum Frequenzgang »20 Hz bis 20 kHz«, bedeutet dies im Regelfall, dass die unteren und oberen Ränder nur mit stark verringerter Lautstärke wiedergegeben werden. Der tatsächlich hörbare Frequenzbereich liegt meist nur bei 40 Hz bis 16 kHz (siehe Abbildung 1). Auch bei den heute hergestellten Kopfhörern hat sich daran wenig geändert, besonders bei den Walkman™-Kopf- und Ohrmuschelhörern. Ohrkanalhörer, die ja in den Ohrkanal eintauchen und ihn verschließen, weisen in der Regel einen wesentlich ausgedehnteren Frequenzumfang auf.
hoeren01.jpg, 108 kb   Abbildung 1
Wenn also die Eltern ihren Teenager-Sprössling mit der oben erwähnten Ermahnung nerven, haben sie leider Recht, denn auch wenn jeder Walkman™ heute eine Bass-Anhebung (»Bass-Boost«) aufweist, gilt wie oben:
ab einer bestimmten Wiedergabelautstärke treten hörbare Verzerrungen auf, besonders bei nachlassender Batteriespannung
das Klangbild ist trotz Bassanhebung unausgeglichen und mittenlastig
durch die Bassanhebung stößt der Kopfhörer schnell an die Grenzen seiner ohnehin mäßigen Basswiedergabe
Eine automatische Begrenzung der Abhörlautstärke ist daher bei solchen Geräten wirklich empfehlenswert, damit Kinder ihre Ohren nicht ruinieren können.
Anders verhält es sich bei Rockkonzerten oder in Diskotheken. Hier ist man der Lautstärkeneinstellung durch den Tonmischer gnadenlos ausgeliefert, so dass nur anzuraten ist, Ohrstöpsel bereitzuhalten, falls es unerträglich wird. Dankenswerter Weise werden solche Stöpsel heute in jedem Musikgeschäft oder in der Apotheke angeboten.
Was macht einen guten Kopfhörer aus
Zurück zum Kopfhörer. Ausgehend von den oben angeführten Problemen lassen sich die Anforderungen an einen Kopfhörer für gute laute Wiedergabe formulieren:
Möglichkeit einer verzerrungsfreien Wiedergabe selbst extrem hoher Schallpegel, um die ganze Dynamik einer guten Musikmischung aufzulösen; anders gesagt, man sollte mit dem Kopfhörer wirklich sehr laut hören können, ohne dass Verzerrungen auftreten
Das Klangbild sollte ausgeglichen und in den Mitten eher matt erscheinen, bei niedrigen Abhörlautstärken darf es eher zu flach und langweilig klingen
Die Basswiedergabe sollte bis hinab zu 20 Hz straff und knackig sein; kommt der Basston aus beiden Kanälen mit gleicher Lautstärke und Phase, sollte er auch akustisch in der Mitte bleiben.
Um mit einem Mythos aufzuräumen: Tiefe Tonsignale zwischen 20 und 50 Hz werden nicht ausschließlich über den Unterleib aufgenommen, wie verschiedentlich behauptet wird. Das Ohr ist sehr wohl imstande, diese Frequenzen wahrzunehmen. Bei einer Beschallung über Lautsprecher macht sich eine Anregung des Unterleibs lediglich durch die größere »Membran«-Oberfläche des gesamten Körpers bemerkbar.
Ein weiterer wesentlicher Faktor ist gegebenenfalls die Beeinflussung des Tonsignals durch einen Equalizer. Dieser sollte in den Mitten eine Absenkung, am oberen und unteren Rand dagegen eine allmähliche Anhebung bewirken. Eine ähnliche Funktion hat die so genannte gehörrichtige Lautstärkenkorrektur, manchmal auch als physiologische Lautstärkeregelung bezeichnet. So lässt sich auch ein von der erzielbaren Abhörlautstärke her brauchbarer, aber im Klangverhalten eher mäßiger Kopfhörer vernünftig einstellen.
Beispiel für einen guten Kopfhörer
Ende der 1970er Jahre brachte Peerless-MB Kopfhörer nach dem Orthodynamischen Prinzip auf den Markt. Meiner Meinung nach bieten diese Kopfhörer die beste Klangwiedergabe überhaupt, nur werden sie leider nicht mehr hergestellt. Herausragender Vertreter dieses Wiedergabeprinzips war der PMB-8 (siehe Abbildung 2), ein geschlossener Kopfhörer mit auf den Ohren aufliegenden Kunststoffpolstern. Selbst bei extrem hohen Schallpegeln ist das Klangbild gestochen scharf und ausgewogen, so dass keine Hörschäden durch Verzerrungen zu befürchten sind. Ich benutze diesen Kopfhörer, seit es ihn gibt, mit wirklich hoher Abhörlautstärke, und ich habe damit weder ein insgesamt schlechteres (leiseres) Hörvermögen erfahren, noch hat sich mein Hörempfinden hoher Frequenzen verschlechtert. Ich kann im Alter von 58 Jahren auf beiden Ohren noch bis 18,5 kHz klar wahrnehmen.
hoeren02.jpg, 55 kb   Abbildung 2
Nachteilig ist bei diesem Kopfhörer lediglich seine Anschlussimpedanz von 110 Ohm, die für die heutigen Kopfhörerausgänge ungünstig liegt. Ich verwende den PMB-8 daher direkt am Lautsprecherausgang eines Endverstärkers.
Auch mal wieder leise hören
Eines muss aber klar sein: Hat man sich über eine gewisse Zeit mit hoher Wiedergabelautstärke »vollgedröhnt«, sollte man auf eine ausreichende Pausenzeit mit geringer Lautstärkebelastung achten. Hierfür gibt es genaue hörphysiologische Untersuchungen, die folgende Empfehlungen für die Einwirkdauer geben:
  85 dB(A)   max. 8 Stunden täglich   oder   85 dB(A)   max. 40 Stunden pro Woche
88 dB(A) max. 4 Stunden täglich 91 dB(A) max. 10 Stunden pro Woche
91 dB(A) max. 2 Stunden täglich 95 dB(A) max. 4 Stunden pro Woche
94 dB(A) max. 1 Stunde täglich 105 dB(A) max. 24 Minuten pro Woche
97 dB(A) max. 30 Minuten täglich 108 dB(A) max. 12 Minuten pro Woche
usw. usw.
(Zum Thema dB(A) siehe untenstehenden Kasten.)
Da bei lauter Kopfhörerwiedergabe schnell ein Schallpegel von über 100 dB(A) erreicht wird, sollte man es mit der Häufigkeit und Zeitdauer nicht übertreiben. Ich weiß aus eigener Erfahrung, dass die Tendenz bei gutem »Sound« heißt, lauter, und nicht leiser. Nur, in gleicher Weise wie beim Anziehen einer Schraube gilt: Nach fest kommt ab. Im Fall des Hörvermögens heißt dies: Nach laut kommt taub.
Als Faustregel sollte gelten: Wenn's nach dem Hörgenuss im Ohr pfeift, war es mal wieder laut genug, und es ist Zeit für eine längere Ruhepause. Wenn es andauernd pfeift, ist es vielleicht schon zu spät (Gefahr für Tinnitus oder Hörsturz), und ein Gang zum Ohrenarzt kann notwendig werden.
Was bedeutet dB(A) ?
Das Gehör bewertet verschiedene Frequenzbereiche abhängig von der Lautstärke sehr unterschiedlich. Bei leisen Signalen werden tiefe und hohe Töne schwächer wahrgenommen als mittlere Tonlagen (siehe Abbildung 3). Mit steigender Lautstärke verflacht diese Charakteristik, und oberhalb von 100 Phon (unbewertete Lautstärke) ist das Ohr im mittleren Frequenzbereich um 2 kHz extrem empfindlich, kann also schnell geschädigt werden.
Beispiel: Ein Sinuston mit 1 kHz und einem Schalldruckpegel von 60 dB wird gleich laut beurteilt wie ein 50-Hz-Ton mit 78 dB, ein 300-Hz-Ton mit 56 dB und ein 8-kHz-Ton mit 68 dB.
Abbildung 3
hoeren03.jpg, 69 kb
Um dieses Verhalten zu berücksichtigen, wurden so genannte Bewertungskurven (siehe Abbildung 4) ermittelt, die die Gehöreigenschaften mit technisch leicht zu realisierenden Filtern angenähert nachbilden. Am gebräuchlichsten ist die A-Bewertung, ausgedrückt in dB(A).
Leider entgeht den meisten Akustik-Spezialisten offenbar, dass die A-Bewertung nur für Schallpegel bis ca. 55 dB zutrifft. Für die Beschallung mit Pegeln von 55 bis 85 dB gilt die B-Bewertung, darüber die C-Bewertung. Dies hat wesentliche Auswirkungen auf die Beurteilung der Hörbelastung, aber im Zuge der »Vereinfachungsmanie« werden solche Feinheiten immer mehr nivelliert. Wer misst, misst Mist, und dies heutzutage in jedem Fall in dB(A).
Abbildung 4
hoeren04.jpg, 47 kb
Quellennachweise
Abbildungen 1 und 2:  Funkschau spezial High-Fidelity;  Franzis Verlag München 1977
Abbildungen 3 und 4:  Messung und Beurteilung von Maschinen und Geräuschen;  Danfoss Bauer GmbH, 73726 Esslingen
Links zum Thema
Das Stichwort »Lärm« im Sonnenseite Umweltlexikon
Ohren im Dauerstress – Hörsturz bei Kindern und Jugendlichen
Was ist Hörsturz?
Freizeitlärm
Häufige Fragen zur HNO-Heilkunde
Leitlinien der Dt. Ges. f. Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie
Hörbehinderung und seelische Folgen
Das Schwerhörigen-ABC
Hören heute – Lärm
Wie laut - wie schädlich?
Gesetze, Vorschriften und Normen – Pegelbegrenzung in Diskotheken zum Schutz vor Gehörschäden
Schallschutz – Was ist Schall?
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Was ist Lärm?  (Dateigröße 16 kB)
Theorie der Tontechnik – 2. Gehör  (Dateigröße 564 kB)
Hören – Gehör, Schall/Lärm  (Dateigröße 790 kB)
Psychoakustik  (Dateigröße 260 kB)
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